Interview mit Air Cushion Finish
Das Duo Air Cushion Finish ist ein experimenteller Live Act, bei dem alles ständig im Wandel sein kann: ihre Sprache ist Musik, die im Moment entsteht. Aus der Atmosphäre im Raum, beeinflusst von der eigenen Stimmung. Aber vor allem aus der Freude heraus, sich selbst vom Konzert überraschen zu lassen. Wir haben zusammen Kaffee getrunken und über Punk, Bühnen und Zaubertricks gesprochen.
Ich treffe mich mit jayrope und Lippstück von Air Cushion Finish an einem verregneten Mittwochmorgen im Café Dujardin in Berlin Wedding. Bevor ich meine Notizen rausholen kann, sind wir schon in ein Gespräch über experimentelle Musik und das Festival vertieft.
Pauli: Ok, das ist überhaupt nicht der Start, den ich mir vorgenommen hatte, aber passt gerade so gut zu dem, worüber wir gerade sprachen: Was ist Euer Instrumentarium?
Lippstück: Im besten Falle immer ein bisschen anders. Wie ein Bild, das sich stückweise verändert. Es sieht nie identisch aus, irgendetwas kommt dazu, irgendetwas kommt weg und manchmal gibt es auch Momente, in denen ich bewusst eine ganze Sektion weglasse, um mich in eine andere Situation zu bringen. Oder irgendetwas funktioniert nicht. (lacht)
jayrope: Oder Dein Netzgerät fehlt. Also ich hab immer eine tiefer gestimmte Gitarre dabei und so Holzbretter mit Stahldrähten und Kontaktmikrofonen, die man traktieren kann. Wir singen beide und da steht immer ein Haufen komischer Bodentreter rum, die irgendetwas machen.
Lippstück: Ich hab gern ein Echo und mindestens 2-3 verschiedene Mikrofone, die keine Effektierung brauchen, sondern die per se anders klingen. Die gleich eine Atmosphäre erzeugen. Lange Zeit hatte ich ein Telefon mit auf der Bühne, in das man reinsingen konnte!
jayrope: Ich nenne meinen verkabelten oder nicht verkabelten Haufen ein Cello.
Pauli: Ein Cello?
jayrope: Ja, ein Cello, weil es das gleiche ist: Es ist ein Instrument. Es funktionierte ein bisschen anders, also mehr so wie ein Modulbaukasten, wo du Sachen rein- oder rausnehmen kannst oder auch den Charakter völlig ändern, es bleibt aber trotzdem irgendwie Dein Cello. Du spielst immer den ganzen Kasten, den ganzen Haufen an Zeug. Es ist offen für alles: für gefundene Dinge, für gekaufte oder selber gebaute… Was ein Instrument ist, ist ja nicht eindeutig definiert, außer, dass man damit Nägel in die Wand hauen und Sachen durchsägen kann. Aber Dinge, die über Menüs oder Bedienhierarchien funktionieren, fliegen immer sofort wieder raus. Es muss etwas sein, das sich irgendwie in Deiner Hand erschließt — oder mit Hand und Ohr! Wo du im Idealfall auch gar nicht hingucken musst. Bildschirme sind auch verboten, die gehen absolut nicht, weil man dann nämlich nichts mehr hört. Das passiert auch offensichtlich vielen Leuten, die am Rechner Musik machen.
Lippstück: Ja, wenn Du auf der Bühne visuell gefordert bist, dann machst Du keine Musik.
jayrope: Dann laberst Du höchstens so neben Dir her, weil Du nicht in der Lage bist, etwas konzentriert zu entwickeln.
Lippstück: Ich spiele kein klassisches Instrument und trotzdem sind meine Hände sehr vielfältig beschäftigt, auch ohne Notenwissen. Das geht nicht mit Geräten, die einem Fragen stellen. (kleine Pause)
Man merkt schon, wir haben nicht so oft Interviews, wir haben viel zu erzählen. Mir fällt auch auf, eigentlich unterhalten wir uns über unsere Musik verbal nicht so oft. Wir unterhalten uns meistens auf der Bühne miteinander, während wir spielen.
jayrope: Wir spielen nur Stand Up-Konzerte ohne Proben, es ist alles immer nur improvisiert und über die Jahre stilistisch streckenweise natürlich erkennbar. Aber wenn man sich das über die Zeit so anschaut, dann sind das schon ganz schöne Veränderungen. Also bei mir merke ich gerade, dass ich wie so ein alter Jazzer bin, der keinen Bock mehr hat Jazz zu spielen. Die spielen dann nämlich alle freie Musik. Alles, was Dir bekannt vorkommt, willst Du nicht machen und ich merke total, dass mir das auch gerade passiert.
Lippstück: Das merke ich auch, dass ihm das passiert. (beide lachen)
Pauli: Aber nehmt ihr eure Konzerte auf?
Beide: Immer.
Lippstück: Wenn es Veröffentlichungen gibt, dann sind das immer Konzerte.
jayrope: Bis auf ein Album: Flink. Das haben wir in Montreal im Hotel2Tango Studio aufgenommen. Wir haben aber gesagt, dass wir das im Studio nur machen, wenn auch ein Publikum da ist.
jayrope: Ist ziemlich anstrengend das alles durchzuhören und ich hab da meistens gar keine Lust drauf. Uns beiden macht es einfach nur Spaß, zu spielen. Deswegen müssen nachfolgende Produktionsschritte auch so schnell wie möglich gehen.
Pauli: Einmal aus dem System raus ist aus dem System raus…
Lippstück: Aber manchmal entsteht es erst dadurch, dass es raus ist!
Pauli: Im Sinne von, man generiert einen Output, der dann gleichzeitig wieder Input ist und der arbeitet dann unterbewusst weiter. Wie ein ganz langes Delay?
jayrope: Ja, oder eine Loop Maschine.
Pauli: Ihr habt einen klassischen Hintergrund?
jayrope: Ich schon. Ich bin Kind von zwei Kirchenorganisten. Bin mit Bach, Reger und Messiaen vollgeschüttet worden und hatte 8 Jahre klassischen Klavierunterricht. Und ich war Knabensopran, ich hab auch als Zwölfjähriger mal in der Deutschen Oper Bastien und Bastienne gesungen.
Pauli: Ach krass.
jayrope: Das hab ich mit vierzehn Jahren alles zur Tür hinaus und auf die musikalische Müllkippe geworfen.
Pauli: Und nie wieder angefasst?
jayrope: Ne, das vergisst Du ja auch nicht. Aber ich hatte tatsächlich lange die Idee, diese Hörgewohnheiten und die Analysevorgänge, die die ganze Zeit automatisch stattfinden, möglichst kaputt zu machen. Damit ich rein emotional auf Dinge reagieren kann, ohne gleichzeitig immer alles zu analysieren. Das ist eben das Problem.
Pauli: Ein Problem von Musikern im Allgemeinen, das analytische Hören.
jayrope: Naja, also von Punks halt sicherlich nicht. Das kommt auf die Musiker an.
Pauli: Ein Mitbewohner von mir sagt, dass nur junge Punks richtigen Punk machen.
jayrope: Ja, das stimmt auch.
Lippstück: Auch eine Definitionsfrage. Geht‘s um die Machart der Musik, um die Attitüde oder um die Ausstrahlung? Geht es um das, was sie auslöst? Also was ist der Punk am Punk?
Pauli: Ich hab gestern ein Interview gelesen, mit Inga Humpe von 2Raumwohnung, in dem es auch darum ging. Sie wurde als junge Frau als Punkerin gesehen und gefragt, wie das denn heute mit ihr und dem Punk sei. Sie hat gesagt, Punk sein bedeutet für sie, dass sie mit Anfang 60 immer noch Musik macht und sich so dagegen wehrt, dass man als Frau im Musikgeschäft immer jung und knackig bleiben soll. Das fand ich einen spannenden Gedanken. Das heißt, Punk ist etwas, was sich gegen das System stellt und keine Erwartungen erfüllt.
jayrope: Ich bin gar nicht sicher, ob das so ist. Ich würde sagen: Außerhalb des Systems und nicht gegen das System. Ich glaube nämlich, einem Punk ist das System total egal. Der setzt sich einfach vor den McDonalds in der Schönhauser Allee und lässt sich was schenken. Und das hat nichts mit Opposition zum System zu tun. Oder zumindest nicht zwangsläufig!
Pauli: Aber wäre dann Punk nicht einfach nur ein radikaler Hedonismus?
Lippstück: Ja, klar! Aber wo sind wir jetzt?
Pauli: Wir waren bei der Klassik.
jayrope: Mein Punkt war jetzt eigentlich, dass jeder heranwachsende Mensch Gründe findet, um sich endlich aus dem Elternhaus zu entfernen. Da wollte ich einfach die Hörgewohnheiten loswerden und vor allem die Analyse. Ich find diese Analyse so nervig! Weil sie Dich irgendwie daran hindert, Dich auszudrücken, während Du spielst. Oder Du bist nur in ganz engen musikalischen Schemata unterwegs. So wie eine Kadenz, das ist ja das fieseste Beispiel. Eine aufgeschriebene Kadenz am besten auch noch — fürchterlich! Das ist ja das schlimmste, was jemals erfunden wurde.
Pauli: Ist aber gang und gäbe…
jayrope: Ja, das ist heute normal! Nur nicht in den Originalkompositionen, da wusste man noch was Solisten sind, jetzt weiß man das nicht mehr. Anyway! Das ist alles so festgefahren und so kaputt geordnet und das wollte ich loswerden. Meine Finger können etwas durch mich hindurch singen, was ich nicht analysieren kann. Man kann somit Medium sein. Es spricht irgendwas durch Dich hindurch, es ist außerhalb Deiner Kontrolle und du kannst nicht mal genau sagen, was es ist.
Lippstück: Ich bin es!
jayrope: Du bist es?! Ach scheiße, du hast mich ausgetrickst.
Diese Sachen pendeln ja auch immer hin und her. Das ist typisch menschlich, alles in polare Systeme zu packen. Also ich hab ganz lange das Spiel zwischen Akustischem und Elektronischem getrieben und das ist wie ein Zyklus: ich fange an die eine oder andere Seite total zu hassen und mache nur noch das Eine und nach einer Weile langweile ich mich wahrscheinlich und fasse wieder das Andere an.
Pauli (zu Lippstück): Und hast du irgendwelche Berührungspunkte mit Klassik?
Lippstück: (überlegt lange) Tja, da muss ich mal ganz doll nachdenken. Sicherlich, aber eher nicht so, dass mich das maßgeblich beeinflusst hätte.
Pauli: Und wie kamst du zur Musik?
Lippstück: Staubsaugen.
Pauli: (lacht) Erzähl mir mehr davon!
Lippstück: Na, Sound lädt ein mitzuklingen. Ich glaub das ist es. Ich habe irgendwie immer mehr heimlich irgendwo mitgeträllert. So haben wir uns auch kennengelernt: Ich hab heimlich bei ihm mitgeträllert. Ansonsten ist es die Müdigkeit, vom gesprochenen Wort hin zum unmittelbaren Ausdruck im musikalischen Nicht-Wort. Ich muss nicht singen, ich muss dafür keine Sprache benutzen und ich fühle mich trotzdem ausgedrückt. Und ich fühle mich nicht missverstanden und vor allem fühle ich mich nicht missverwandt! Das macht die Benutzung meiner Zunge auf der Bühne erträglich. Also nicht, weil man vor seiner Verantwortung fliehen will, sondern dieses unmittelbare Sein auf der Bühne, das kenne ich nur von der Art von Musik, wie wir sie praktizieren.
Pauli: Das ist irgendwo ja trotzdem sinnstiftend aber nicht im Sinne des Wortsinns.
Lippstück: Ja.
Pauli: Das heißt, Du arbeitest schon mit einer Art von Phonetik.
Lippstück: Ja, also ich formuliere! Ich schaffe es auch, die Formulierung zu wiederholen, wie ein entworfener Refrain oder so.
Pauli: Wie wichtig, glaubt ihr, ist die Performance für den Zuhörer? Also die Optik, das Visuelle.
Lippstück: Spannend wird es dann, wenn man teilweise zwei verschiedene Konzerte gleichzeitig oder hintereinander oder nebeneinander auf der Bühne spielt (was vorkommt oder vorgekommen ist). Das finde ich unheimlich aufregend.
Pauli: Wie kann man sich das vorstellen?
Lippstück: Ich erinnere mich nur, ich hatte so einen elegischen Steher und jayrope war nicht so der Meinung, das er den hat. Dann hat er angefangen hinter mir auf der Bühne mit Tischtennisbällen rumzuwerfen und Purzelbäume zu schlagen und das war so kontrastreich, dass die Leute das total aufregend fanden. Aber ich war in meiner Welt und er in seiner. Man hat nicht versucht sich gegenseitig auszulöschen, er hat nicht versucht mich verrückt zu machen und ich hab nicht versucht ihn herbeizubringen oder so. Sondern es war ein Gespräch, was sich nicht gleich über Stilmittel einig geworden ist. Vielleicht ist mir weniger die Art der Performance wichtig, sondern die Tatsache. Dieser Bühnenmoment als einer der freisten, die ich kenne. Es gibt keine Angst, keine Fragen, es gibt keine Vorgaben, wie oder ob es ein Gespräch geben soll. Sondern es ist einfach nur eine Öffnung eines atmosphärischen Etwas. Vielleicht auch der Grund weshalb die Menschen immer wieder zu unseren Konzerten kommen.
jayrope: Ich finde es gibt auch was Demokratisches, was Soziales, das mir unheimlich gefällt.
Lippstück: Und die Performance ist offensichtlich nicht wichtig genug, als dass wir uns gut betrachtbar hinsetzen.
jayrope: Da find ich die Konstruktion von einem Amphitheater viel besser. Da unten wird gerade ein Tiger losgelassen und der bringt die beiden Ambient Musiker um. (lachen) Aber es ist nicht so, dass man diese Bühne als über dem Publikum stehend formulieren könnte.
Pauli: Aber grundsätzlich ist die Energie von Performer*in oder Musiker*in (oder was auch immer) und Zuhörerschaft ja schon unterschiedlich… Also ich stimme euch voll zu, dass es eine Bühne nicht braucht, aber gerade, weil es eben super spannend ist, was passiert, wenn man diese Energien so frei in den Raum fließen lässt.
Jayrope: Dann sind die Zuhörer auch nicht so: „Ich hab mir ja ne Eintrittskarte gekauft, jetzt macht mal was!“
Pauli: Ja, sie sind nicht so steif, sondern viel offener, viel flexibler. Ich habe das so oft erlebt, gerade im Bereich der klassischen Musik: Du bist zwar auf der Bühne, aber dann nach dem Konzert kommst Du ins Foyer und wirst nicht mit dem Arsch angeguckt.
Lippstück: Du wirst eher ausgestellt, als hervorgehoben.
jayrope: Ja, du bist solange interessant, solange Du da oben in dem Kasten sitzt.
Lippstück: Sie erhebt dich nicht, sondern sie framed dich.
Pauli: Das ist eine gute Formulierung, ja.
Lippstück: Also es lohnt sich auf jeden Fall immer mal links und rechts daran vorbei zu denken.
Pauli: Was macht Ihr eigentlich außerhalb von Air Cushion Finish?
jayrope: Ich mache Musik für zeitgenössischen Tanz.
Lippstück: Ich verkaufe Holzkaminöfen!
jayrope: Geile Dinger!
Lippstück: Geile Dinger. Und ich habe lange viele Veranstaltungen gemacht, also Konzertveranstaltungen. Mach ich auch manchmal noch, draußen in Biesenthal, kleine Festivals oder so. Aber nicht mehr zum Geldverdienen. Und ich spiele gerne viele Schaltplatten! Wir machen ja auch zusammen Radio, da ich lese sehr gerne vor.
Pauli: Kann man die irgendwo nachhören?
jayrope: Unter cashmereradio.com/shows/biesentales/
Pauli: Und wie kam es zum Bandnamen Air Cushion Finish?
Jayrope: Ein Freund von uns saß in der Küche und hat Poker gespielt. Und die Karten haben eine Beschichtung und die heißt Luftkissenbeschichtung: Air Cushion Finish.
Lippstück: Mit den Poker Karten macht man nämlich Zaubertricks und das Air Cushion Finish führt dazu, dass sie nicht aneinanderkleben.
Pauli: Ihr seid das Polster, durch das man Zaubertricks machen kann.
jayrope: Die sind auch glatt, die entgleiten Dir. Und diese Konnotation davon, dass Du Dich aufs Glatteis begibst. Du kannst nur noch gleiten. Und selbst wenn Du fällst, dann ist das ein Akt, der Dir Spaß macht, dann lernst Du halt fallen! Das ist bis heute wichtig. Deswegen auch nicht proben, einfach gucken, wo fahren wir jetzt hin, wie riecht das hier, wie sind die Leute drauf? Das Konzert, von dem wir vorhin sprachen: Unsere unterschiedlichen Rollen sind nur dadurch entstanden, dass mir ein Tischtennisball runtergefallen ist und ich wollte den wiederhaben! Und Lippstück war eben gerade in so einem Film und der Kontrast ist dann super.
Lippstück: Da hat die Performance auf jeden Fall eine große Rolle gespielt! Aber es ist nicht wichtig, es ist nur das, was es ist.
jayrope: Es ist situativ.
Pauli: Danke für das Interview. Wir freuen uns schon auf Eure situative Luftkissenbeschichtung beim Detect Classic Festival im Sommer.